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mercoledì 7 giugno 2017

EIN PARIA-VOLK: PLÄDOYER FÜR HYAM MACCOBY UND SEINE ANTISEMITISMUS-KRITIK, von Peter Gorenflos (unter Mitwirkung von Emanuel Rund)

IN DUE LINGUE (Tedesco, Inglese)
IN ZWEI SPRACHEN (Deutsch, Englisch)

Ahriman-Verlag, 2013
Die Disputation

In den USA und Großbritannien ist Hyam Maccoby (1924–2004) vor allem durch sein Theaterstück The Disputation einer breiten Öffentlichkeit bekannt geworden. Hier geht es um eines, der im Mittelalter öffentlich ausgetragenen Streitgespräche zwischen einem Rabbi und einem katholischen Geistlichen mit dem Zweck, die jüdische Bevölkerung zur Konversion zum Christentum zu bewegen. In der historisch belegten Disputation von 1263 in Barcelona zwischen Rabbi Moses ben Nachman und dem katholischen Priester Pablo Christiani unter der liberalen Regentschaft des Königs Jakob von Aragon, hatte der Geistliche keine Chance gegen die logisch stringente Argumentation des Rabbis. Die Dominikaner verbreiteten daraufhin eine Verdrehung des wahren Ablaufes und zwangen Moses ben Nachman damit zur Gegendarstellung. Trotz gegenteiliger Versprechungen musste er daraufhin auf Druck des Papstes ins Exil. Andere, ähnliche Disputationen endeten oft mit einem Blutbad an der jüdischen Bevölkerung und der öffentlichen Verbrennung des Talmuds. Die Inquisition stand in ihren Startlöchern, gestützt vom Papst, der in Europa bald erheblich an politischem Einfluss gewinnen sollte. Das Theaterstück war unter der Leitung von Bob Kalfin und mit dem bekannten Theodore Bikel als Rabbi ein großer Erfolg und wurde von der BBC mit dem berühmten Christopher Lee als König Jakob sogar verfilmt.
Nur auf dem überwiegend katholischen, europäischen Festland, dem „continent“, ist der Altertumsgelehrte, Talmud-Philologe und ehemalige Bibliothekar des Leo Baeck College in London, Hyam Maccoby, fast unbekannt. Zuletzt hatte er einen Lehrstuhl für Judaistik an der Universität in Leeds inne.

Der Mythenschmied

Sein zentrales Werk The Mythmaker von 1986, ist erst 20 Jahre später in der Bundesrepublik erschienen. Als Anhänger der Historiker-Schule „die Sicht auf den Juden Jesus“, belegt und untermauert er hier die nicht ganz neue Vermutung, dass Jesus nicht der Gründer des Christentums gewesen sein konnte, sondern fest in der jüdischen Gemeinschaft verankert war, die Thora achtete und eine führende Rolle in der Pharisäer-Bewegung einnahm. Er hatte den messianischen Anspruch, die jüdische Monarchie wiederherzustellen, sein Land vom Joch der römischen Besatzung zu befreien und danach mit allen Militärherrschaften weltweit aufzuräumen. Dieser Anspruch, König der Juden zu sein – eine offene Provokation der römischen Besatzer – brachte ihn ins Gefängnis und nach der Verurteilung durch den römischen Statthalter Pontius Pilatus ans Kreuz, wo er, wie zahlreiche andere jüdischen Freiheitskämpfer, einen Märtyrer-Tod starb. Als einer der vielen erfolglosen Messias-Anwärter wäre er bald in Vergessenheit geraten, wenn da nicht seine direkten Anhänger, die Nazarener, gewesen wären, die an seine Wiederauferstehung durch ein göttliches Wunder glaubten und sich als jüdische Sekte innerhalb der Pharisäer-Bewegung unter ihren jüdischen Führern Petrus und Jakobus zu etablieren begannen. Maccoby entwickelt hier das ganze Panorama einer Gesellschaft unter der Herrschaft der Weltmacht Rom, er zeigt die unterschiedlichen Gruppierungen, die kompromisslerische Sekte der Sadduzäer, einer von ihnen der Hohepriester, der als Polizeichef für Rom agierte, die Herodianer als Titularkönige, die militanten Zeloten und vor allem die in der Bevölkerung hoch angesehenen Pharisäer, welche die eigentlichen Führer der unterdrückten, jüdischen Bevölkerungsmehrheit gewesen waren und nach der Zerstörung des Tempels das geistige Überleben des Judentums sicherten.
Maccoby belegt durch zahllose Indizien, dass der eigentliche Begründer des Christentums Paulus war. Er rekonstruiert die Geschichte hinter den Paulusbriefen, dem ältesten Teil des Neuen Testamentes und vor der Zerstörung des Tempels geschrieben, und den Evangelien, die danach geschrieben wurden. Maccoby entlarvt Paulus als griechischen Abenteurer, der nur oberflächlich mit dem Judentum vertraut war und des Hebräischen vermutlich kaum mächtig war. Seine Heimatstadt Tarsus in Kleinasien verließ er erst als Erwachsener und versuchte, beeindruckt von jüdischen Autoritäten wie Hillel, Schammaï und Gamaliel, Anschluss an die Pharisäer zu finden und bei ihnen Karriere zu machen. Seine Ambitionen scheiterten allerdings, er wurde niemals pharisäischer Gelehrter, wie er selbst von sich behauptete und seine angebliche Herkunft aus dem „Stamme Benjamin“, ohnehin ein fragwürdiges Konstrukt, war eine reine Erfindung, um sich bei seiner späteren Missionstätigkeit Ansehen zu verschaffen. Er war auch nie ein Schüler Gamaliels, wie Lukas in der Apostelgeschichte behauptet. Nachdem er mit seinem Ehrgeiz gescheitert war, schloss er sich – wohl aus Verzweiflung – der Hilfspolizei des Hohepriesters an. In seiner Funktion als Polizeiagent nahm Paulus, damals noch Saulus, unter anderem an der Verfolgung der Nazarener teil.

Damaskus und danach

Auf dem Weg nach Damaskus, wo er jüdische Widerstandskämpfer aus der Nazarener-Fraktion festnehmen sollte, überkam diesen innerlich zerrissenen Abenteurer eine Art Halluzination, eine Offenbarung bei der ihm nach eigenen Angaben Jesus erschien. Dies war der Ausgangspunkt, die Initialzündung, bei der Gründung einer neuen Religion, dem Christentum. Denn von den Vorstellungen der Nazarener, der jüdischen Anhänger Jesu, war Paulus fasziniert. Eine gekreuzigte und wiederauferstandene Messias-Figur erinnerte ihn an die Mysterien-Religionen seiner Kindheit, den phrygischen Attis-Kult und auch den Kult um Baal-Taras, der seiner Heimatstadt den Namen gab. Wie auch in anderen hellenistischen Mysterien-Religionen, dem Adonis-Kult in Syrien, dem Osiris-Kult in Ägypten u.v.a., starben hier geopferte Götter und erlebten danach ihre Wiederauferstehung. Ihr Leiden war für die seelische Erlösung ihrer Anhänger erforderlich und setzte einen finsteren Täter voraus, auf den man die Schuld für das notwendige Opfer verschieben konnte. Dieses Gebräu begann im Kopfe des Paulus zu gären und vermischte sich mit dem Konzept des – ebenfalls hellenistischen – Gnostizismus, bei welcher ein außerweltlicher Erlöser vom Himmel herabsteigt, um eine böse Welt vom Demiurgen und dessen falscher Lehre zu befreien, indem er wenigen Auserwählten das Wissen, die wahre Erkenntnis, die „Gnosis“ bringt. Der Demiurg wird dabei mit dem hebräischen Gott, die Thora mit dem unvollkommenen Gesetz, einer Art Täuschung, gleichgesetzt. Der wahre, höchste Gott würde seinen Sohn herabschicken, um den jüdischen Gott zu stürzen und auserwählte Seelen für das ewige Leben retten. Der Gnostizismus transportierte den Antisemitismus in die Vorstellungen von Paulus und weckte in seiner neuen Religion den Geschmack am Entrinnen vor einer entsetzlichen Verdammnis. Er war nachweislich vor dem Christentum unter Griechen in Alexandria entstanden, die zunächst vom Judentum beeindruckt waren, den Anschluss suchten, aber dann vor den Anforderungen der Thora kapitulierten und in Feindschaft zu dieser Religion traten. Genau in diesem Dilemma befand sich auch Paulus, der aus diesen drei Elementen, den Mysterienkulten, dem Gnostizismus und dem Judentum eine neue Religion, einen hochvirulenten Mythenmix von durchschlagender Wirkung zu fabrizieren begann. Zu guter Letzt ergab sich daraus auch eine neue Perspektive für seine erstrebte Führerstellung, die weit über seine bisherigen ehrgeizigen Vorstellungen hinausging, ihm den Rückfall in das Heidentum ersparte, ihn zu einer Art Prophet machte und weit über die beneideten Pharisäer-Führer erhob.
Sein Anschluss an die Nazarener war nur oberflächlich, denn für diese strenggläubigen Juden war Jesus keine mythische Figur, sondern ein politischer und religiöser Anführer. Zunächst gewann Paulus ihr Vertrauen und die Berechtigung zur Heidenmission, doch dann kam es zum Streit, als klar wurde, dass er das völlig neue Konzept verbreitete, Jesus sei für die Sünden der Menschen und für deren Erlösung gestorben, sein Sühne und Opfertod habe die Thora überflüssig gemacht, und er sei als göttliches Wesen anzusehen, Vorstellungen, über die der historische Jesus entsetzt gewesen wäre. Nach einem Konzil in Jerusalem lavierte er sich zunächst heraus, dann wurde ihm fünf Jahre später der Prozess gemacht und es kam zum endgültigen Bruch zwischen ihm und den jüdischen Jesusanhängern, unter ihren Anführern Petrus und Jakobus. Paulus, der sich mit entwendeten Spendengeldern, die für seine vermeintlichen Glaubensbrüder gesammelt worden waren, die römische Staatsbürgerschaft erkauft hatte, floh nach Rom, wo sich seine historische Spur verliert. Laut christlicher Mythologie soll er dort den Märtyrertod erlitten haben. Es ist aber genauso gut möglich, dass er dort noch einige Jahre lebte und mit dem Aufbau seiner paulinischen Kirche beschäftigt war. Petrus war nie sein Anhänger und vermutlich nie in Rom und schon gar nicht „der Fels, auf dem die Kirche erbaut wurde“, also der erste Papst.

Das Abendmahl

Hyam Maccoby zeigt uns, dass es auch Paulus war, der das Abendmahl als zentrales Sakrament seiner neuen Religion einführte, nicht Jesus. Dieses knüpft nur oberflächlich an den Kiddusch an, der ein einfaches Dankgebet für Gott ist. Das Abendmahl hingegen ist ein Opferritual bei dem ein inkarnierter Gott-Mensch symbolisch verspeist wird. Der Wein wird zu seinem Blut, das Brot zu seinem Fleisch. Paulus’ Begriff vom „Mahl des Herrn“ ist direkt den Mysterienkulten entnommen als Bezeichnung eines sakralen Mahls zu Ehren des Erlösergottes. In ihrer Vorgeschichte dienten diese Kulte der Fruchtbarmachung der Felder, der Abwendung einer Gefahr, der Gründung einer neuen Stadt oder eines neuen Stammes und stellvertretend für einen Gott fanden tatsächliche Menschenopfer statt, mit denen sich Maccoby ausführlich befasst. Die Mysterien-Religionen schwächten den Menschenopfer-Ritus ab und das Judentum überwand ihn mit der Akedah vollständig. Hier wurde aus dem Menschenopfer ein Tieropfer und das ganze Konzept des Opfers wurde nach und nach vollständig überwunden. Paulus aber macht diese Entwicklung rückgängig und gestaltet ein phantasiertes Menschenopfer zum zentralen Sakrament seiner neuen Religion um. Er überträgt das mythische Erlösungs-Konzept vom stellvertretenden Sühnetod eines Gottes auf eine historische Person, Jesus, was seinem Mythenmix eine besonders dramatische, eindrucksvolle Aura verleiht und die Notwendigkeit eines verantwortlichen Sündenbockes wiederaufleben lässt, den er bereits in „den Juden“ ausfindig zu machen beginnt. Formell hält er aber am Judentum fest, das er umbauen will ohne sich von ihm loszusagen, vor allem, um seiner neuen Religion Autorität und Authentizität zu verleihen. Paulus usurpiert das Judentum, wie Maccoby erläutert. Seine Anhänger, befreit von der Last der Thora, von ihren Sünden und ihrer Sterblichkeit durch den Tod Jesu erlöst, bilden den Neuen Bund mit Gott, der den Alten Bund des Judentums ablösen soll.

Die Judas-Legende

Nach dem jüdischen Krieg (66–70 u.Z.) und der Zerstörung des Tempels begann sich die Jerusalemer Kirche, also die Nazarener-Bewegung, langsam aufzulösen, denn ihre Konkurrenz-Organisation, die paulinische Kirche, bezichtigte sie ebenso der Häresie, wie auch die Pharisäer in Jerusalem nach einer längeren Zeit guten Einvernehmens. Sie überlebte noch einige Jahrhunderte versprengt, isoliert und verfolgt unter dem Namen der „Ebioniten“, was „arme Leute“ bedeutet, und wurde dann unauffällig vom Mahlstrom der Geschichte zerrieben. Als die paulinisch-hellenistischen Jesusanhänger von jüdischer Seite nichts mehr zu befürchten hatten, als die jüdisch-thoratreuen Jesusanhänger zu geschwächt waren, um sich behaupten zu können, gingen jene auf paulinischer Grundlage von Rom aus – ihrem neuen religiösen Zentrum – in die Offensive. Mit den Evangelien, die zwischen dem Jahr 70 und 110 u.Z. geschrieben wurden, begann die Ära des virulenten Antisemitismus. Die Pharisäer wurden als trockene, legalistische Heuchler verächtlich gemacht, was zu den antijüdischen Stereotypen des Mittelalters und danach wesentlich beitrug. Die Thora wurde als unerbittliches, menschenfeindliches Gesetz dargestellt und „die Juden“ für den Tod Jesu verantwortlich gemacht. Das Passah-Privileg wurde erfunden, nach welchem die jüdische Bevölkerung einmal im Jahr die Möglichkeit gehabt haben soll einen Gefangenen freizusprechen. In der Barabbas-Episode entscheidet sich die aufgepeitschte Menge für Barabbas und fordert lauthals den Tod Jesu: „Kreuziget ihn“. Die Legende vom gutartigen Pontius Pilatus wurde geschaffen, der doch historisch ein bösartiger, korrupter und gewalttätiger Statthalter gewesen war. Bei den Evangelisten mutiert er zum Bedrängten, der seine Hände in Unschuld wäscht. Aus Judas Ischariot konstruierte man einen geldgierigen Täter, der Jesus für 30 Silberlinge verraten haben soll. Seinen Namen suchte man aus, weil er stellvertretend für das ganze jüdische Volk steht. Damit war endlich der „Heilige Henker“ gefunden, der Sündenbock, der die böse Tat, die für die Erlösung der Gemeinschaft zwingend erforderlich ist, vollbringt. Für die spätere Entwicklung war das entscheidend, denn mit „den Juden“ hatte man jetzt ein Reservoir an Prügelknaben über alle Generationen, an denen man sich schadlos halten konnte, die man als Blitzableiter benutzen konnte.
Hyam Maccoby belegt, dass die Hauptaufgabe von Paulusbriefen und Evangelien darin besteht, den radikalen Bruch zwischen heidenchristlicher und judenchristlicher Kirche zu verschleiern und in einen anderen Konflikt umzumünzen, den zwischen angeblich einträchtigen paulinischen und jüdischen Jesusanhängern auf der einen Seite und „den Juden“ auf der anderen Seite, die sich starrsinnig weigerten, Jesus als den endgültigen, göttlichen Messias anzuerkennen. Außerdem postulieren sie, dass Jesus der Gründer der neuen Religion des Christentums sei und Paulus nur sein Prophet, dass bereits alle Propheten der Hebräischen Bibel Jesus als Messias angekündigt hätten und schon wieder von „den Juden“ dabei behindert und getötet worden seien. Und sie entpolitisieren Jesus, den sie von einem antirömischen, jüdischen Widerstandskämpfer mit messianischem Anspruch in eine antijüdische, mythische Figur verwandeln, halb Gott, halb Mensch, dessen Opfertod alle, die an ihn glauben, von ihren Sünden befreit und ihnen das ewige Leben schenkt. Rom und die Römer kommen im Neuen Testament fast gar nicht mehr vor. Das ist ungefähr so, als würde man von Frankreich unter dem Vichy-Regime berichten, ohne die deutsche Besatzung zu erwähnen. Um im Römischen Reich als Religion Erfolg zu haben, durfte im Zentrum des Christentums kein antirömischer Aufwiegler stehen, der für sein Ziel, sein Land von den römischen Invasoren zu befreien, mit dem Tod am Kreuz bestraft worden war.

Das Christentum wird Staatsreligion im Römischen Reich

Zunächst gab es tatsächlich Christenverfolgungen in Rom unter den Kaisern Nero bis Diokletian, weil das Christentum im Gegensatz zum Judentum im Römischen Reich nicht offiziell anerkannt war. Das änderte sich als Konstantin den Thron bestieg. Nach seiner Konversion wurde es Staatsreligion, was offiziell beim Konzil von Nicäa im Jahre 325 u.Z. besiegelt wurde. Bereits zehn Jahre zuvor hatte er unter dem Einfluss des römischen Bischofs Sylvester ein Verbot jüdischer Missionierung ausgesprochen. Es war das erste von zahllosen antijüdischen Edikten in den kommenden Jahrhunderten. Von einer verfolgten Kirche wandelte sich das Christentum zu einer verfolgenden Kirche. Es wurde verboten das Judentum zu lehren, Mischehen und Konversion wurden mit dem Tode bestraft und Palästina wurden unbezahlbare Steuern aufgebürdet, was zu einer Revolte führte, die in einem blutigen Massaker niedergeschlagen wurde. Nun wurde Babylon außerhalb des christlichen Einflusses zum kulturellen Zentrum. Nach einem kurzen Intervall der Toleranz unter Kaiser Julian „dem Apostaten“, kam es zu einer langen Phase antijüdischer Gesetzgebung, die alle Rechte der jüdischen Bevölkerung zerstörte, sie zu Sklaven und Fremden degradierte, wie es ihnen nach christlicher Anschauung gebührte. Im Oströmischen Reich mussten Juden Jerusalem verlassen, Palästina wurde christianisiert, in den Synagogen musste griechisch statt hebräisch gesprochen werden und der Bau neuer Synagogen wurde verboten.
Das Weströmische Reich brach im 5. Jahrhundert unter den Barbareneinfällen zusammen, was der jüdischen Bevölkerung für lange Zeit Erleichterung verschaffte. Die Franken vertraten eine weniger fanatische Form des Christentums und betrachteten Juden als nützliche Bürger. Die Nachfolger von Karl dem Großen setzten diese Politik der Toleranz trotz der Einwände der Erzbischöfe Agobard und Amolo, die eine Verschärfung der antijüdischen Gesetzgebung verlangten, fort.
In Spanien waren Juden bei der Bevölkerung so beliebt, dass Rabbis gebeten wurden christliche Felder zu segnen, obwohl das durch die Synode von Elvira verboten worden war. Der spanische Bischof Isidor von Sevilla versuchte antijüdische Gesetze wiedereinzuführen, was aber von den Adeligen ignoriert wurde. Sie zogen es vor, die Juden zu beschützen. Unter christlicher und muslimischer Herrschaft prosperierten sie hier und ihre Kultur erlebte ihren Zenit im 11. und 12. Jahrhundert, dem Goldenen Zeitalter, das von der Kirche erst im Folgejahrhundert beendet wurde. Im restlichen Europa endete die Phase relativer Toleranz bereits zweihundert Jahre früher.
Jetzt, wo die Kirche politisch stark geworden war, trug ihre lange antisemitische Hetz-Propaganda Früchte. Es war die Gehirnwäsche durch Kirchenväter und Klerus mit welchem das zunehmend christianisierte Europa indoktriniert wurde, Kirchenväter der Spätantike wie der heilige Origenes, Augustinus (Contra Judaeos) und Chrysostomos, dessen antijüdische Hetztiraden nur noch von denen Hitlers übertroffen wurden. Was lange Zeit nur religiöse Phantasie der Christen war – der Mythos vom jüdischen Übel – wurde durch die zunehmende Macht der Kirche zur sozialen Realität und die jüdische Bevölkerung bekam ihren Paria-Status aufoktroyiert. Der Alptraum des Mittelalters nahm seinen Anfang.
Wäre das Christentum im Römischen Reich eine von vielen Religionen geblieben, hätten Paulus und die Evangelisten Jesus nicht zum göttlichen Wesen deklariert, wäre er als menschlicher Märtyrer wie Sokrates dargestellt worden, wäre er nicht zum mythologischen Sühneopfer zwecks Erlösung der armen Sünder hochstilisiert worden, dann hätte die Geschichte einen anderen Verlauf nehmen können. Dann hätten die Juden in einem christlichen Mittelalter, wenn es überhaupt zu diesem gekommen wäre, vielleicht den Status von verachteten Bürgern zweiter Klasse erhalten, von steuerpflichtigen Dhimmi, wie in den islamischen Ländern – wenigstens vor der Gründung Israels –, statt zu Blutsaugern, Vampiren und Untermenschen degradiert zu werden, zu einem Volk dämonisierter Parias.

Ahriman-Verlag, 2013
Dämonisierung im Mittelalter

Der Wendepunkt nach einer Phase relativer Toleranz kam für die jüdische Bevölkerung im 11. Jahrhundert zunächst in Deutschland und Frankreich, als die christliche Gehirnwäsche anfing Früchte zu tragen. Es gab Gerüchte, dass Christen unter muslimischer Herrschaft schlecht behandelt würden und irgendwie machte man die Juden dafür verantwortlich. Auf der Grundlage geheimnisvoller Anspielungen von Paulus in seinem zweiten Brief an die Thessalonicher entstand die Legende vom Antichristen, weiterentwickelt durch die Kirchenväter Irenäus, Hippolyt und Lactantius. Diese extravagante Zukunftsvision unterschied sich grundsätzlich von der herkömmlichen Vorstellung, dass „die Juden“ eines Tages Einsicht in ihr verbrecherisches Tun gewönnen, ihre Rolle im christlichen Mythos akzeptierten und mit der Einsicht, dass Jesus Christus der wahre Messias und Erlöser sei, dessen zweite Wiederkunft einleiten würden. Alternativ zu dieser Version würde zu Beginn der Endzeit ein Mann erscheinen, der die Heere des Teufels gegen die Heere Jesu führt. Dieser Mann, der Antichrist, ist ein Jude aus Babylon, der sich nach Palästina begibt, den Tempel wieder aufbaut und ein weltumfassendes jüdisches Imperium regiert. Auf dem Höhepunkt seines Erfolges tritt die Wiederkunft Christi ein, der seine Heere gegen den Antichrist führt, ihn besiegt und alle seine Anhänger inklusive des jüdischen Volkes vernichtet, um ein Tausendjähriges Reich zu errichten. Diese christliche Vision trug nun Früchte und es kam zu Pogromen in Rouen, Orleans, Limoges und Mainz. Als Papst Urban II. 1096 zum ersten Kreuzzug aufgerufen hatte, um Jerusalem zu befreien, massakrierten die Kreuzritter alle Juden, die ihnen auf ihrem Weg begegneten. Diese Gewaltausbrüche brachten die Juden Europas außerhalb Spaniens an den Rand der Ausrottung und wären fast zu einer rein christlichen Endlösung geworden.
Der jüdische Alptraum, der nun unter christlicher Herrschaft begann, beinhaltete auch ihren Ausschluss aus den wachsenden Gilden und das Verbot, angesehene Berufe auszuüben. Ihre lange Tradition als internationale Händler, Bauern, Winzer oder Ärzte fand nun ein Ende. Sie hatten aber die Erlaubnis zum verpönten Geldverleih gegen Zinsen erhalten, was ihnen den Ruf von Wucherern einbrachte und den Judas-Mythos vom geldgierigen Verräter Christi anfeuerte. So wurden sie unfreiwillig die ersten Bankiers Europas.

Blutbeschuldigung

In England begann eine andere, neue Form des Alptraumes, die Blutbeschuldigung. Der erste Fall war der Wilhelms von Norwich im Jahr 1144. Man behauptete, Juden hätten vor dem Osterfest ein Christenkind gekauft, gefoltert und am Karfreitag aus Hass gegen Jesus Christus gekreuzigt. Der Fall hatte vor Gericht keinen Bestand, aber die Resonanz darauf war so groß, dass diese Geschichte immer mehr Glauben fand und sich epidemisch ausbreitete. „Geständnisse“ wurden unter Folter erpresst, jüdische Bürger wurden hingerichtet und ganze Gemeinden ausgelöscht. Ein weiterer Fall war der des Hugo von Lincoln, 1255. Nachdem dieses Kind drei Wochen lang vermisst wurde, fand man seine Leiche in einer Jauchegrube, in der es offensichtlich ertrunken war. Zu dieser Zeit fand eine jüdische Hochzeitfeier in Lincoln statt, so dass sich die Ritualmordbeschuldigung anbot. Ein Jude namens Copin wurde so lange gefoltert, bis er gestand, der Knabe Hugo sei von ihm und seinen Glaubensbrüdern gefoltert und dann gekreuzigt worden. Neunzehn Juden, einschließlich Copin selbst, wurden daraufhin gehängt. Diese angeblichen Ritualmorde wurden Juden durch das gesamte Mittelalter bis ins 20. Jahrhundert vorgeworfen und haben ganz wesentlich zu ihrer Dämonisierung beigetragen. Sie wurden vor allem vom niederen Klerus propagiert, aber auch die Civiltà Cattolica, ein offizielles Periodikum der katholischen Kirche, vertrat die Blutbeschuldigung seit ihres Erscheinens 1849 mit gehässiger Verbissenheit und forcierte 1870 sogar ihre Bemühungen, zusammen mit zahlreichen anderen katholischen Zeitungen, nachdem die Reste des Vatikanstaates von italienischen Truppen eingenommen worden waren.
Hyam Maccoby beschreibt, wie es im 12. Jahrhundert zu einer bedeutenden psychologischen Wandlung in der Christenheit kam. Hatte man vorher Jesus als jungen Mann dargestellt und verehrt, so rückte nun der kindliche Jesus ins Blickfeld der Gläubigen. Parallel dazu kam die Marienverehrung auf, die zuvor keine Rolle gespielt hatte. Offensichtlich hatte sich in der christlichen Bevölkerung die Einbildung verbreitet, in der Abendmahlshostie sei eher das Christkind gegenwärtig als der Körper eines jungen Mannes. Das Zerstückeln und Aufessen eines Kleinkindes war im wesentlichen ein religiöser Akt, den die Christen selbst in ihrer Phantasie vollzogen, der aber mühelos verschoben und den Juden zum Vorwurf gemacht werden konnte. Erst von dieser Zeit an begann man Juden als Untermenschen, als blutsaugende Vampire und Dämonen anzusehen. Es gab auch eine Verbindung zur „Wucherei“, denn manche Kleinadelige entledigten sich ihrer Schulden, indem sie den Mob mit Ritualmordlegenden aufhetzten, die in Massakern an der jüdischen Bevölkerung endeten. Von nun an waren sie endgültig die schwarzen Schafe der Familie, die für alle Katastrophen verantwortlich gemacht wurden, auch für die Pestepidemien, in deren Folge es zu Massakern an ihnen kam. Nachdem sie auch aus dem Geldgewerbe verdrängt worden waren, begann ihre elendeste Zeit als Hausierer und Pfandleiher, die bis ins 18. Jahrhundert andauerte und nur ihr Stolz, ihre Disziplin, das Studium von Thora und Talmud, sorgten für ihr geistiges Überleben.
Eine Antwort auf die antijüdische Kampagne des christlichen Mittelalters war die Flucht, teils in Länder des Islams, wo es eher Verachtung als Hass auf sie gab, teils in Richtung Osten, z.B. von Deutschland nach Polen, wo man sie wegen ihrer Fähigkeiten und Energie zum Aufbau des Landes willkommen hieß, bis sie dann doch wieder vertrieben wurden, nachdem sie nicht mehr gebraucht und auch dort das Opfer mittelalterlichen Hasses geworden waren. Eine weitere Antwort war die Konversion, die in der Regel eine Zwangskonversion war, aber auch das Märtyrertum, wie z.B. in York 1190, als man den Tod einer Konversion zu einem Glauben vorzog, der durch das Verhalten seiner Anhänger den Beweis für seine Unwahrheit erbrachte. Die Hauptantwort war allerdings die Standhaftigkeit. Man hatte Ressourcen in der eigenen Tradition, um den Stürmen standzuhalten, man entwickelte in den jüdischen Quartieren einen Verhaltenskodex, der auf den Prinzipien von Gleichheit und Gerechtigkeit des Talmuds aufgebaut war. Man betrachtete sich als zivilisiertes Volk in einer barbarischen Umgebung und wies die christliche Vorstellung jüdischer Minderwertigkeit weit von sich. In einer Zeit von weit verbreitetem Analphabetismus konnten fast alle Juden, Männer und Frauen, lesen und schreiben.

Spanien und die „Reinheit des Blutes“

In Spanien kam es 1391 zu einem Massaker an Juden. In dessen Folge konvertierten viele von ihnen zum Christentum und bis zu deren endgültiger Vertreibung im Jahre 1492 stieg die Zahl der Konvertiten auf über 100.000, ebenso viele wählten das Exil. Allen war klar, dass es einem Todesurteil gleichkam im Land zu bleiben ohne seine Religion aufzugeben. Theoretisch war das Christentum „anti-rassistisch“. Wer zum Christentum konvertierte war willkommen, denn die Konversion sämtlicher Juden war nach christlicher Auffassung der Auftakt für die Wiederkunft Christi. Praktisch änderte sich das allerdings, nachdem sie dämonisiert und zu einer verhassten Minorität degradiert worden waren, ausgestattet mit einer abscheulichen Natur, die ihre Ursprünge im zentralen christlichen Mythos hatte. Ab einer gewissen Anzahl wurden sie unverdaulich. Waren sie zunächst durch ihre Konversion von ihren Benachteiligungen befreit und hatten begonnen, ihre natürlichen Talente zu nutzen um wichtige Positionen in der spanischen Gesellschaft zu besetzen und in angesehenen Berufen aufzusteigen, ging nun plötzlich das Gespenst von der feindlichen Übernahme um. Außerdem standen die Neuchristen, die „conversos“, unter ständigem Verdacht, ihre ursprüngliche Religion im Geheimen weiter auszuüben. Die konvertierten Juden wurden nun die ersten und für lange Zeit einzigen Opfer der spanischen Inquisition, die als lückenlose Überwachung eingesetzt wurde. Mit ihrer Methode der bürokratischen Kontrolle, der Denunziation, der Scheiterhaufen und der Folter gab sie bereits eine Vorahnung auf die Judenverfolgungen unter den Nazis. Auf dieser Grundlage entwickelte sich auch eine quasi-rassistische Ideologie mit den „Statuten der Reinheit des Blutes“ („Estatutos de limpieza de sangre“), einem historischen Vorläufer der Nürnberger Rassengesetze. Die Unterscheidung zwischen Alten und Neuen Christen wurde zunächst auf lokaler Basis, dann, seit 1536, auf nationaler Ebene im Zivilrecht festgeschrieben, überdauerte bis zum Jahr 1876 und machte die konvertierten Juden zu Bürgern zweiter Klasse. Die Jesuiten verboten ab 1592 allen Männern jüdischer Herkunft die Zugehörigkeit zum Orden, wobei der Stammbaum fünf Generationen zurückverfolgt wurde, ein katholischer „Arier-Schein“ ante datum.

Die Aufklärung und danach

Es war der Niedergang des Christentums, der die Juden aus ihrer mittelalterlichen Unterdrückung herausführte. Die Französische Revolution brachte 1791 den Durchbruch, dem andere europäische Länder folgten, am spätesten Russland mit der Revolution von 1917. Die kirchliche Hierarchie übte starken Gegendruck aus und wollte den Status der jüdischen Bevölkerung als „verfluchte Nation“ mit allen Mitteln aufrechterhalten und ihnen politische und soziale Rechte vorenthalten. Beispielhaft dafür war der Vatikanstaat nach dem Wiener Kongress, in dem Ghettos, Kleider-Kennzeichnung mit gelbem Stoff, Zwangspredigten u.v.m. vom Papstkönig wiedereingeführt wurden. Einige Aufklärer, wie Montesquieu mit seinem Werk Vom Geist der Gesetze oder Rousseau mit seinem „contrat social“ hatten großen Respekt vor der jüdischen Tradition und sahen in der Thora eine Art frühen Gesellschaftsvertrag, andere, wie Voltaire und Mirabeau verhielten sich eher verächtlich und gönnerhaft, betrachteten die Juden als abergläubisch und rückständig und nur durch einen langwierigen, schwierigen Prozess zu emanzipieren. Viele, die so dachten, waren dann um so überraschter und schockiert, in welchem Tempo jüdische Bürger in allen angesehenen Berufen Karriere machten, sobald sie von ihrer schäbigen Unterdrückung befreit waren. Die tolerante, aber herablassende Haltung kippte sehr schnell in Missgunst, als die Juden durch ihren schnellen Erfolg alle üblen Vorhersagen widerlegten. Sie waren dafür durch die lange Tradition ihres Studiums des Talmuds mit seinen subtilen, vernünftigen und menschenfreundlichen Betrachtungen bestens qualifiziert. Außergewöhnliche Personen wie Moses Mendelssohn oder Salomon Maimon rückten von ihrem talmudischen Hintergrund an die Spitze der europäischen Philosophie, gefolgt von zahllosen anderen, weniger spektakulären Aufsteigern in bürgerlichen Berufen. Missgunst und Neid standen am Anfang des modernen Antisemitismus. Die neue Debatte drehte sich um Loyalität und Assimilierbarkeit und aus den Christusmördern des Mittelalters wurden „die Fremden“ schlechthin. Diese Verschiebung führte zu einem Wiederaufleben von Hass, Verachtung und mittelalterlicher Verteufelung in einer neuen, „rationalen“ Verkleidung. Für die einen wurden sie zum Urheber des Kapitalismus, wobei das Bild vom mittelalterlichen Wucherer und der Judas-Mythos wiederauflebte, und wenige prominente Familien wie die Rothschilds Pate standen. Für die anderen waren sie die Speerspitze von Verschwörung und Revolution. Den Anfang für letzteres machte Abbé Barruel während der Französischen Revolution, dessen Machwerk zum Modell für die späteren Protokolle der Weisen von Zion wurde. Die Anfeindung von so unterschiedlichen Seiten, welche die Juden für alle Übel der Welt verantwortlich machten, beweist ihren religiösen Ursprung. Das mittelalterliche, quasi-rassistische Bild der dämonisierten Juden als Brunnenvergifter, Hostienschänder, Ritualmörder, mit ihrem speziellen Gestank, „foetor judaicus“, ihrer speziellen Physiognomie und anderen körperlichen Auffälligkeiten, brauchte nur noch einen neuen, „wissenschaftlichen“ Anstrich. Die Rassentheorie entstand in Deutschland. Die Christlich-Sozialen des Adolf Stoecker wurden zur politischen Heimat sowohl religiöser, als auch rassistischer Judenhasser. Von dort drang diese Bewegung nach Frankreich und Osteuropa vor. In Frankreich erschien das einflussreiche Buch von Édouard Drumont (1886) La France juive devant l’opinion, das die Juden für die Korruption im Land verantwortlich machte. Alfred Dreyfus war hier wohl das prominenteste Opfer antisemitischer Verleumdungen jener Zeit.
In Russland überdauerten die mittelalterlichen Lebensverhältnisse der Juden bis zur Oktoberrevolution. 1881 gab es Pogrome und Ritualmordlegenden wurden verbreitet. 1882 wurden die antijüdischen Mai-Gesetze erlassen, durch die jüdisches Eigentum konfisziert wurde und neue Ghettos gebaut wurden. Und 1903 erschien das antisemitische Pamphlet Protokolle der Weisen von Zion von Sergei Nilus, das die Legende einer jüdischen Weltverschwörung zum Inhalt hatte und weltweit verbreitet wurde. Die Schwarzen Hundert stifteten mit direkter Unterstützung des Zaren 1903 und 1905 Pogrome an und 1911 wurde die Blutbeschuldigung gegen Mendel Beilis in Kiew von Regierungsstellen und indirekt vom Vatikan selbst unterstützt. Erst die Oktoberrevolution brachte den russischen Juden die rechtliche Gleichstellung. Sofort wurden sie in aller Welt als deren Urheber betrachtet, obwohl sich die wenigen Anführer mit jüdischen Hintergrund, Trotsky, Sinowjew, Litwinow und Kaganowitsch von allem Religiösen distanziert hatten.
Die Antwort auf den wachsenden nationalistischen und rassistischen Antisemitismus hieß Zionismus. Nach der Dreyfus-Affäre und den polnischen Blutbeschuldigungen des 19. Jahrhunderts war Theodor Herzl davon überzeugt, dass die Hoffnungen und Versprechungen der Aufklärung die „Judenfrage“ durch Emanzipation zu lösen, eine Illusion waren.

Die Mitschuld des Christentums am Holocaust

Nach der Kriegsniederlage im Ersten Weltkrieg, dem Versailler Vertrag, der Wirtschaftskrise und der Inflation war es in Deutschland wieder einmal soweit und ein Sündenbock wurde gesucht. Viele gesellschaftliche Gruppierungen setzten auf die antisemitische Karte, aber keiner tat es so kompromisslos wie Hitler. Natürlich war der Katholik Hitler kein gläubiger Mensch, aber aus der Kirche ausgetreten war er auch nicht. Und natürlich war er kein Agent der katholischen Kirche. Seine Auftraggeber waren Großindustrie, Großgrundbesitzer, Banken und Teile der Aristokratie ohne deren finanzielle und propagandistische Unterstützung er nicht die geringste Chance gehabt hätte. Für sie war sein Antisemitismus nur eine Marotte, die man zynisch in Kauf nahm, bis er die aufstrebende Arbeiterbewegung zerstört hätte. Weshalb aber war eine kultivierte Nation so anfällig für das politische Programm eines Psychopathen? Hyam Maccoby kommt zu dem Ergebnis, dass es die Welt des Mittelalters war, die das Reservoir an Judenhass und verachtung lieferte, das es den Nazis ermöglichte, ihre Vernichtungsstrategie umzusetzen. Hitlers Rassentheorie war pseudowissenschaftlich, denn mit den muslimischen Arabern, auf welche die ethnische Bezeichnung „semitisch“ viel eher zutrifft, hatte er keine Probleme, betrachtete sie sogar als seine Verbündeten und empfing den Großmufti von Jerusalem, Mohammed Amin al-Husseini, mit allen Ehren. Hitler konnte bei seiner antisemitischen Politik auf sämtliche Stereotypen des Mittelalters zurückgreifen. Selbst sein Konzept der Endlösung und die Terminologie des Tausendjährigen Reiches hatten einen christlichen Vorläufer mit der religiösen Vorstellung der Endzeit und des Antichristen, die sich wie ein roter Faden durch die Geschichte des christlichen Denkens zieht. Als Endzeitbewegung kannte der Nazismus ausschließlich die Gestalt des triumphierenden Christus (d.h. Hitlers), nicht jedoch des geopferten. Sobald das Tausendjährige Reich eingetreten ist, ist das göttliche Opfer und damit auch der Heilige Henker – die Juden – nicht mehr nötig. Die Phantasien einer jüdischen Weltverschwörung gingen auf die mittelalterliche Legende der Blutbeschuldigungen zurück, welche unterstellte, dass die Juden geheime Versammlungen auf internationaler Ebene abhielten, auf denen sie beschlössen, wo und wann das nächste Kindesopfer stattfinden solle. Und auf die Idee vom Antichristen. Das Bild vom mittelalterlichen Wucherer und dem habgierigen Verräter Judas lebte ebenfalls in den Hasstiraden und Karikaturen der Nazis weiter.

Schlussbetrachtung

Hyam Maccoby belegt in seinem Werk die Kontinuität zwischen dem mittelalterlichen, religiösen Antisemitismus und dem modernen, pseudo-wissenschaftlichen Antisemitismus. Die christlichen Kirchen konstruieren hier einen künstlichen Grabenbruch, genauso, wie sie an anderer Stelle – paulinische versus jüdische Jesusanhänger – einen echten tektonischen Riss zuschütten, um diesem brisanten Tabuthema auszuweichen. Alle Vorurteile, die später von den Nazis benutzt wurden, um die jüdische Bevölkerung als Blitzableiter zu missbrauchen, sie zu terrorisieren und in die Vernichtungslager zu schicken, hatten einen religiösen Ursprung im christlichen Mittelalter. Maccoby macht klar, dass der speziell christliche Antisemitismus die ideologische Grundlage für den Holocaust war. In China und Indien, wo es keine Usurpations-Mythen gibt, die sich vom Judentum ableiten und es ablösen wollen – Christentum und Islam –, gibt es auch keinen Antisemitismus.
Der britische Talmud-Gelehrte öffnet uns die Augen dafür, dass der moderne Antisemitismus ein Vermächtnis des christlichen Mythos von den Juden als Mörder Christi ist, auch vom Paria-Status der dämonisierten Juden im Mittelalter, die dazu verdammt wurden, die nötige aber dreckige Arbeit der Gesellschaft zu erledigen. Der Holocaust ist nach seinen Worten die größte Krise, mit der das Christentum jemals konfrontiert wurde, größer noch als die Reformation. Die christliche Antwort auf den Holocaust wird über die Zukunft des Christentums entscheiden oder darüber, ob es überhaupt eine Zukunft haben wird. Eine dauerhafte Lösung des Problems des Antisemitismus könnte darin bestehen, den paulinischen Sühne-Mythos abzubauen. Ein erwünschter Nebeneffekt davon wäre die Rehabilitierung von Judas Ischariot, der mit einem entwürdigenden Verräter-Stigma beladen wurde, trotz seiner Loyalität zum historischen Jesus, mit dem er zu einer – wenn auch gescheiterten – Befreiungsmission aufgebrochen war. Sein Name leitet sich vom Stamm Juda ab und ist ein Eponym für das ganze jüdische Volk.

Berlin, März 2017

LITERATURLISTE

Kertzer, David I., The Popes Against the Jews. The Vatican’s Role in the Rise of Modern Anti-Semitism [Die Päpste gegen die Juden. Der Vatikan und die Entstehung des modernen Antisemitismus, Berlin/München, List Verlag, 2001], New York, Alfred A. Knopf, 2001
Maccoby, Hyam, Antisemitism and Modernity. Innovation and Continuity, New York, Routledge, 2006
Judaism on Trial. Jewish-Christian Disputations in the Middle Ages, London, Littman Library of Jewish Civilization, 1982
Judas Iscariot and the Myth of Jewish Evil, New York, Free Press, 1992
The Mythmaker. Paul and the Invention of Christianity [Der Mythenschmied. Paulus und die Erfindung des Christentums, Freiburg, Ahriman-Verlag, 2007], New York, Barnes & Noble, 1986
A Pariah People. The Anthropology of Antisemitism, London, Constable, 1996
Paul and Hellenism, Philadelphia, Trinity Press International, 1991
The Philosophy of the Talmud, New York, Routledge, 2002
Revolution in Judaea. Jesus and the Jewish Resistance [Jesus und der Jüdische Freiheitskampf, Freiburg, Ahriman-Verlag, 1996], London, Orbach and Chambers, 1973
The Sacred Executioner. Human Sacrifice and the Legacy of Guilt [Der Heilige Henker. Die Menschenopfer und das Vermächtnis der Schuld, Stuttgart, Jan Thorbecke Verlag, 1999], London, Thames & Hudson, 1982

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RED UTOPIA ROJA – Principles / Principios / Princìpi / Principes / Princípios

a) The end does not justify the means, but the means which we use must reflect the essence of the end.

b) Support for the struggle of all peoples against imperialism and/or for their self determination, independently of their political leaderships.

c) For the autonomy and total independence from the political projects of capitalism.

d) The unity of the workers of the world - intellectual and physical workers, without ideological discrimination of any kind (apart from the basics of anti-capitalism, anti-imperialism and of socialism).

e) Fight against political bureaucracies, for direct and councils democracy.

f) Save all life on the Planet, save humanity.

g) For a Red Utopist, cultural work and artistic creation in particular, represent the noblest revolutionary attempt to fight against fear and death. Each creation is an act of love for life, and at the same time a proposal for humanization.

* * *

a) El fin no justifica los medios, y en los medios que empleamos debe estar reflejada la esencia del fin.

b) Apoyo a las luchas de todos los pueblos contra el imperialismo y/o por su autodeterminación, independientemente de sus direcciones políticas.

c) Por la autonomía y la independencia total respecto a los proyectos políticos del capitalismo.

d) Unidad del mundo del trabajo intelectual y físico, sin discriminaciones ideológicas de ningún tipo, fuera de la identidad “anticapitalista, antiimperialista y por el socialismo”.

e) Lucha contra las burocracias políticas, por la democracia directa y consejista.

f) Salvar la vida sobre la Tierra, salvar a la humanidad.

g) Para un Utopista Rojo el trabajo cultural y la creación artística en particular son el más noble intento revolucionario de lucha contra los miedos y la muerte. Toda creación es un acto de amor a la vida, por lo mismo es una propuesta de humanización.

* * *

a) Il fine non giustifica i mezzi, ma nei mezzi che impieghiamo dev’essere riflessa l’essenza del fine.

b) Sostegno alle lotte di tutti i popoli contro l’imperialismo e/o per la loro autodeterminazione, indipendentemente dalle loro direzioni politiche.

c) Per l’autonomia e l’indipendenza totale dai progetti politici del capitalismo.

d) Unità del mondo del lavoro mentale e materiale, senza discriminazioni ideologiche di alcun tipo (a parte le «basi anticapitaliste, antimperialiste e per il socialismo».

e) Lotta contro le burocrazie politiche, per la democrazia diretta e consigliare.

f) Salvare la vita sulla Terra, salvare l’umanità.

g) Per un Utopista Rosso il lavoro culturale e la creazione artistica in particolare rappresentano il più nobile tentativo rivoluzionario per lottare contro le paure e la morte. Ogni creazione è un atto d’amore per la vita, e allo stesso tempo una proposta di umanizzazione.

* * *

a) La fin ne justifie pas les moyens, et dans les moyens que nous utilisons doit apparaître l'essence de la fin projetée.

b) Appui aux luttes de tous les peuples menées contre l'impérialisme et/ou pour leur autodétermination, indépendamment de leurs directions politiques.

c) Pour l'autonomie et la totale indépendance par rapport aux projets politiques du capitalisme.

d) Unité du monde du travail intellectuel et manuel, sans discriminations idéologiques d'aucun type, en dehors de l'identité "anticapitaliste, anti-impérialiste et pour le socialisme".

e) Lutte contre les bureaucraties politiques, et pour la démocratie directe et conseilliste.

f) Sauver la vie sur Terre, sauver l'Humanité.

g) Pour un Utopiste Rouge, le travail culturel, et plus particulièrement la création artistique, représentent la plus noble tentative révolutionnaire pour lutter contre la peur et contre la mort. Toute création est un acte d'amour pour la vie, et en même temps une proposition d'humanisation.

* * *

a) O fim não justifica os médios, e os médios utilizados devem reflectir a essência do fim.

b) Apoio às lutas de todos os povos contra o imperialismo e/ou pela auto-determinação, independentemente das direcções políticas deles.

c) Pela autonomia e a independência respeito total para com os projectos políticos do capitalismo.

d) Unidade do mundo do trabalho intelectual e físico, sem discriminações ideológicas de nenhum tipo, fora da identidade “anti-capitalista, anti-imperialista e pelo socialismo”.

e) Luta contra as burocracias políticas, pela democracia directa e dos conselhos.

f) Salvar a vida na Terra, salvar a humanidade.

g) Para um Utopista Vermelho o trabalho cultural e a criação artística em particular representam os mais nobres tentativos revolucionários por lutar contra os medos e a morte. Cada criação é um ato de amor para com a vida e, no mesmo tempo, uma proposta de humanização.